Mich würde es mal interessieren, bzw. ich habe mich schon sehr oft gefragt:" Weshalb ist ein Dirigent im Rahmen eines Orchesters, Gesangchors etc. so wichtig? Kann ein Orchester etc. auch ohne einen Dirigenten funktionieren?

Karl Richter, 1926 als Sohn eines Pfarrers in Plauen im Vogtland geboren, wurde 1938 Kreuzschüler und Mitglied des Kreuzchors in Dresden, ebenda und später in Leipzig als Musiker geprägt von Rudolf Mauersberger, Karl Straube und Günther Ramin.
Peter Schreier hat ihn 1946 als Präfekten und Mauersberger-Assistenten erlebt und schrieb 1981 in einem Plattentext über ihn: „Mit jedem Werk befasste er sich damals schon so intensiv, dass er es grundsätzlich auswendig spielte oder dirigierte…
Und er spielte eben nicht einfach so, sondern er machte Bachs Musik zum Erlebnis. Wir alle spürten damals schon, was für ein großer Musiker hier heranwuchs.“
Sehr jung wird Richter in Leipzig Organist an der Thomaskirche. 1951 kommt er nach München, wird Dozent (ab 1956 Professor) an der Musikhochschule, Organist und Kantor an St. Markus und übernimmt von Michael Schneider den dort heimischen Heinrich-Schütz-Kreis.

Die Übersiedlung Richters von Leipzig nach München 1951 war der Anfangspunkt einer beispiellosen Weltkarriere.
Dem jungen Musiker, der sich von Beginn an zum Ziel gesetzt hatte, sich in Süddeutschland einen eigenen Wirkungskreis nach dem Vorbild der großen sächsisch-protestantischen Musiktradition zu schaffen, gelang es, den Heinrich-Schütz-Kreis schnell für seine Arbeit zu begeistern.
In kürzester Zeit erfuhr das Ensemble regen Zulauf von begeisterten jungen Laiensängern und damit eine entscheidende Steigerung der künstlerischen Qualität.

Bereits in meiner frühesten Kindheit war ich mit diesem Heinrich-Schütz-Kreis vertraut, da meine Cousine, die 10 Jahre älter ist als ich, dort im Chor mitsang. Ich begleitete sie öfters, und war mit dem Procedere vertraut.
Dann aber kam Karl Richter als neuer Kantor an die St. Markuskirche - und übernahm diesen Sing-Kreis.
Es gab zur damaligen Zeit bereits diverse Aufführungen der Matthäus-Passion jeweils karfreitags - aber ansonsten lag eigentlich fast alles, was Chromusik, Bach, Musikwerke etc. anbetraf, brach.
Ein weites Betätigungsfeld eröffnete sich für den ambitionierten Karl Richter.
Zuerst führte er die abendlichen Orgelkonzerte in der Markuskirche ein - jeweils am letzten Freitag des Monats. Ich habe nicht eines verpasst, in all den Jahren...
Es gab Aufführungen von Johann Sebastian Bach, Heinrich Schütz und auch Georg Friedrich Händel, sowie frühe Werke der Kirchenmusik und die großen Komponisten der Klassik und der Romantik - etwa Johannes Brahms, Anton Bruckner und Max Reger.
Mit dem Chor führte er mit der 'Messe in h-Moll' und der 'Johannes-Passion' schon ganz früh, 1952, große Bach-Werke auf.

München war begeistert, der Erfolg unbeschreiblich grandios.
Nach den langen Nachkriegsjahren waren wir richtig ausgehungert nach dieser Musik. Sämtliche seiner Darbietungen waren immer ausverkauft und Menschenmengen standen draußen, um ein bißchen von der Musik, die drinnen erklang, mitzukriegen!!

1954 gründete er den Bach-Chor, der sich aus Mitgliedern des alten Chors der Markus-Kirche und vielen neuen interessierten Laien-Sängern zusammenfügte.
In den folgenden Jahren erweiterte er unaufhörlich sein Repertoire - und war auch einer der Ersten, der seine Aufführungen auf LP pressen ließ!
In diese Zeit fielen auch die ersten Auslands-Reisen - die allerdings mühseligst waren und den Teilnehmern viel abverlangten - 30-stündige Bus-Anreisen waren an der Tagesordnung....
Zuerst bereiste man Italien, später dann USA, Frankreich, Finnland, England, Österreich, Kanada und die Schweiz.
Eine Zeitung schrieb damals:

Der Ruf des Münchener Bach-Chores als eines einzigartigen jungen Ensembles begann sich in alle Welt zu verbreiten: „Ohne zu ermüden, ohne der Lethargie der Erfolgreichen anheim zu fallen, vollzog er eine Entwicklung, die nichts Geringeres war als die Selbstentfaltung einer der wenigen Elementarbegabungen unserer Gegenwart. 10 Jahre Karl Richter in München – das bedeutet die Einbürgerung der besten Thomaskirchen-Tradition in unserer Stadt. Wo Richter wirkt, ist das beste Erbe Bachs, das Leipzig der Motetten, Passionen und Orgelfugen!“ (aus einem Artikel von R. Müller, 1962) .

Am 17.9.1968, einem Dienstag, dirigierte Leonard Bernstein in München, und ich hatte eine Eintrittskarte – obwohl das Konzert seit Wochen ausverkauft war.
An diesem Abend saß ich neben einer jungen Frau, die mich in der Pause in seine Garderobe mitnahm, wir begrüßten den großen Maestro – sie stellte mich vor, und er wollte wissen, ob ich denn auch im Bach-Chor mitsänge....
Wir verbrachten dann den späten Abend in einem Nobelrestaurant in München – ein Bekannter meiner Sitznachbarin aus dem Bach-Chor hatte uns alle eingeladen, mit dem Maestro den Konzert-Erfolg zu feiern.
Lang nach Mitternacht intonierte der Maestro gutgelaunt die soeben von ihm dirigierte Musik am Klavier – und die junge Frau lud mich ein, mich doch mal bei Karl Richter, ihrem Chef, vorzustellen!!
Ich wagte es, sang ihm vor, was ich konnte (ich war zu der Zeit ja bereits Mitglied im Chor der Erlöserkirche in Schwabing) – und er wollte es mit mir probieren............
Und so kam ich zu Karl Richter..... (daher die lange Erklärung) –
Gibt es Zufälle? Oder ist es Bestimmung?

2 Wochen später sang ich bereits bei den ersten Proben mit. Es war eine gestrenge und sehr zeitaufwendige Zeit.
Für Urlaub, Freizeit, Hobbies – blieb leider keine Möglichkeit mehr – und wir wurden mehr als entschädigt damit – denn : die Identifikation der Chormitglieder mit dem Chor und dessen Leiter war extrem hoch, das Charisma Karl Richters unwiderstehlich. Das ließ uns manche psychische und physische Anspannung vergessen. Richter motivierte uns über seine Art des Musizierens. Musikalische Zusammenhänge wurden mit wenigen Worten angedeutet oder am Klavier demonstriert. Kritik an Konzerten äußerte er fast nie, Kritik an der Probenarbeit oder an einzelnen Chormitgliedern kam knapp, manchmal durchaus scharf. Aber immer gerecht und gerechtfertigt. Man lernte immens viel, was Zusammenhalt, Teamarbeit, Gehör, Präzision und Harmonie betraf.

Fragt man mich heute nach diesen Glanzjahren in der Geschichte des Bach-Chores, so kann ich nur von mitreißenden Konzerterlebnissen berichten, von Empfängen in Botschaften, vom fast unendlichen, begeisterten Applaus des Publikums, und vielen fröhlichen Begebenheiten am Rande der Konzerte.
Vor allem aber zu erwähnen ist unser absoluter Einsatz jedes einzelnen Sängers für diese Gemeinschaft und von der absoluten Hingabe an die Sache.
Anders ist auch kaum zu erklären, wie es möglich war, dass rund 130 Mitglieder unseres Laien-Ensembles wie selbstverständlich Familie und Beruf hintanstellten, bis zu 100 Abende im Jahr dem Chor widmeten und jahrelang fast vollständig auf privaten Jahresurlaub verzichteten.

Ich machte 2 Jahre voller Begeisterung mit – dann wurde ich in dem Hotel, in dem ich arbeitete, zur Abteilungsleiterin befördert – und damit endete leider Gottes abrupt meine totale Hingabe an diese Art der Musik, die tage-und abendfüllenden Proben, die (manchmal sehr anstrengenden) Reisen, die wundervolle Gemeinschaft mit den Chor-Mitgliedern, die glanzvollen Aufführungen – denn entweder ganz und total – oder gar nicht.
Ein bißchen Bach-Chor – nein, das ging nicht.

In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Karl Richter zunehmend auch der großen Symphonik und der Oper, vorrangig in München, Wien und Buenos Aires.
Nach einer kurzen Phase eingeschränkter Tätigkeit, bedingt durch gesundheitliche Probleme und die Verlegung seines Hauptwohnsitzes in die Schweiz, widmete er sich wieder besonders intensiv der Arbeit mit „seinem“ Chor und reiste regelmäßig nach München, um die Mehrzahl der Proben selbst halten zu können.
1979 nahm er die “Matthäus-Passion“ nochmals für die Deutsche Grammophon auf. Im Jahr 1980 entstanden neue Planungen für große Projekte, unter anderem für eine dreiwöchige Tournee durch Japan, die im Mai 1981 stattfinden sollte. .
Am 15. Februar 1981 erlag Karl Richter in seinem Münchner Hotelzimmer einem Herzinfarkt. Mit seinem Tod zerbrach die einzigartige Symbiose, die über Jahrzehnte das Miteinander von Bach-Chor, Bach-Orchester und Dirigent geprägt hatte.

Abschließend möchte ich sagen, dass die Zusammenarbeit, die Begegnung mit Karl Richter und die Begeisterung des Chores mir für mein Leben unendlich viel mitgegeben hat. Ich bin sehr dankbar dafür, dieses großartigen Künstler gekannt zu haben.

LG Aurelia


Teile (Daten, Namen, Diverses) entnommen aus

http://www.muenchener-bachchor.de/deutsc...sche-leiter.htm

http://karlrichtermunich.blogspot.de/200...-chor-bach.html

Du solltest a Buch schreiben.

"Meine Zeit im Münchenr Bach-Chor"

`Geschichten, Hintergründe und Anekdoten eines
Mitglieds´

oder so.

geht nicht ;-))

Zitat von Miakoda im Beitrag #1

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Mich würde es mal interessieren, bzw. ich habe mich schon sehr oft gefragt:" Weshalb ist ein Dirigent im Rahmen eines Orchesters, Gesangchors etc. so wichtig? Kann ein Orchester etc. auch ohne einen Dirigenten funktionieren?

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Achten die Musiker denn wirklich auf den Dirigenten was der da vorne herum fuchtelt?
Ich glaube sie achten und konzentrieren sich viel mehr auf ihr Instrument und auf das Musikstück.

Der Dirigent ist schon wichtig, koordiniert er doch das Orchester oder den Chor. Mithilfe von entsprechenden Handzeichen und seinem Taktstock gibt er Vorgaben zu Rhythmus, Einsatz, Takt und Pausen.
Wäre doch schrecklich, wenn die Geigen eher anfangen als die Celli....... - ein einheitlicher Einsatz wäre nicht gewährleistet.