Seit dem Ausbruch der Finanzkrise hat die amerikanische Notenbank Billionen Dollar in die Wirtschaft gepumpt. Nun steht der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik an. Die Folgen für Märkte und Menschen sind unkalkulierbar.
Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de

Die Sprache der Finanzwelt ist voller kruder Termini - und seit 2013 um einen Begriff reicher: "Tapering". Ins Deutsche übersetzt heißt das Wort so viel wie Zurückfahren oder Verringern. Gebräuchlich war es bislang allenfalls im Sport, wo man von "Tapering" spricht, wenn ein Athlet vor einem Wettkampf seinen Trainingsumfang reduziert.

Nun aber hat die Finanzbranche den Begriff gekapert, genauer gesagt: Ben Bernanke hat das getan, der langjährige Chef der US-Notenbank Fed. Er meint damit den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik der vergangenen Jahre - aus dem "monetären Doping" also, wie Carsten Brzeski das nennt, Chefvolkswirt der ING Diba. Die Zinsen sollen wieder steigen, das Geld wieder teurer werden.

Im Mai 2013 nahm Bernanke das Wort "Tapering" erstmals in den Mund, und was folgte, war beängstigend: Wochenlang spielten die globalen Börsen verrückt. Die Zinsen auf amerikanische Staatsanleihen verdoppelten sich beinahe, in Schwellenländern wie Indien, Brasilien oder der Türkei brachen die Landeswährungen ein. Dabei hatte Bernanke damals nichts gemacht außer einer verbalen Andeutung.

Irgendwann aber müssen dem Wort Taten folgen. Doch was heißt das? Und warum sind die Folgen offenbar so immens?

Seit dem Beginn des globalen Finanzcrashs, also seit 2007, haben die Zentralbanken Billionen von Dollar, Euro, Pfund oder Yen in die Märkte gepumpt. Ziel der historisch beispiellosen Maßnahmen war es, einen völligen Zusammenbruch der Weltwirtschaft wie in der "Großen Depression" der 1930er-Jahre zu verhindern.

Die US-Fed oder die EZB taten das zum Beispiel, indem sie den Zins, zu dem sich die Geschäftsbanken frisches Geld bei ihnen leihen können, auf nahezu Null senkten. Die Hoffnung: Die Banken würden die niedrigen Zinsen an Unternehmen und Verbraucher weitergeben, sodass Investitionen und Konsum belebt werden.

So ganz erfüllte sich diese Hoffnung aber nicht. Darum ging die Fed noch einen Schritt weiter. Sie begann, Staatsanleihen der eigenen Regierung zu kaufen, und zwar in gigantischem Ausmaß. Dadurch explodierte die Nachfrage nach solchen Papieren. Die US-Regierung wurde sie los, ohne den Investoren noch eine nennenswerte Verzinsung bieten zu müssen.

Versicherer, Fonds und Pensionskassen - Großinvestoren also, deren Job es ist, das Geld ihrer Kunden zu mehren - wurden dadurch gezwungen, ihre Milliarden in riskantere, höher verzinsliche Wertpapiere zu stecken. In Aktien etwa. Oder in Unternehmensanleihen. Den Firmen floss damit frisches Geld zu, mit dem sie neue Maschinen kauften und Jobs schufen.

Und tatsächlich: Seit 2013 wächst die lange Zeit darbende US-Wirtschaft wieder kräftiger, die Arbeitslosenquote ist merklich zurückgegangen. Die Politik des ultralockeren Geldes scheint zu wirken.

Das Problem allerdings ist: Es kann nicht ewig so weitergehen. Denn irgendwann würden die niedrigen Zinsen zu Inflation und Spekulationsblasen führen. Die Phase des billigen Geldes muss enden. Doch wie?

Die Risiken, die das Absetzen des Finanzdopings mit sich bringt, sind enorm. Denn niemand weiß, wie die Entzugsmaßnahmen genau wirken werden. Die Fed betritt unentdecktes Terrain.
Eines der Probleme ist, dass sich die amerikanische Geldpolitik nicht nur auf die USA, sondern auf die ganze Welt auswirkt. Ein etwas vereinfachtes Beispiel: Wenn eine hiesige Bank vor der Wahl steht, der US-Regierung Geld zum Nulltarif zu leihen oder einem deutschen Häuslebauer zu vier Prozent - dann entscheidet sie sich eher für den Häuslebauer, auch wenn das Ausfallrisiko des Kredits höher ist. Wenn nun aber die Rendite auf US-Staatsanleihen auf drei Prozent steigt - geht die Bank das höhere Risiko dann immer noch ein? Eher nicht, dafür ist die Zinsdifferenz zu klein.

Auch in Deutschland könnten deshalb die Zinsen steigen. Und vor allem auch in Südeuropa, "wo höhere Zinsen die leichte Erholung der letzten Monate wieder abzuwürgen drohen", wie Ökonom Brzeski sagt. "Das ist die große Gefahr."

Viele Schwellenländer erleben die Auswirkungen der neuen Fed-Politik schon jetzt. Wegen der Niedrigzinsen in den USA flossen in den vergangenen Jahren Milliarden von Dollar zum Beispiel in indische Staatsanleihen oder brasilianische Aktien. Das ausländische Kapital bescherte diesen Ländern hohe Wachstumsraten. Da aber in den USA die Zinsen allmählich wieder steigen, ziehen viele Investoren ihr Geld wieder ab, um es stattdessen in den Vereinigten Staaten anzulegen. Indien und Brasilien leiden schwer unter diesem Kapitalabfluss, die Rupie und der Real verloren zuletzt dramatisch an Wert.

Damit die Lage nicht noch schlimmer wird, muss die Fed behutsam vorgehen. "Das Wichtigste wird sein, den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik nicht zur überstürzen", sagt Volkswirt Klude. "Es geht um einen langsamen Entzug, nicht um eine Schocktherapie", meint Kollege Brzeski.

Zuletzt kaufte die US-Zentralbank jeden Monat US-Staatsanleihen und andere Wertpapiere für 85 Milliarden Dollar. "Tapering" bedeutet: Die Fed wird das Volumen erst einmal nur langsam zurückfahren - bei "Null" dürfte sie frühestens nach ein paar Monaten sein. Es handelt sich um eine schwierige und langwierige Operation.

Stand: 18.12.2013 20:31 Uhr
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/fed162.html