Mehr als 20 Jahre nach Einführung des Grünen Punkts wächst die Kritik am dualen System zur Mülltrennung. Unter den Entsorgern gibt es handfesten Streit. Und ein neues Gutachten im Auftrag der Verband kommunalen Unternehmen bezeichnet das System als gescheitert und fordert eine Abschaffung der jetzigen Verpackungsverordnung.
Von Patrick Döcke, tagesschau.de

Rückblende: Anfang der Neunziger wuchsen die Müllberge auf deutschen Abfalldeponien. Der Platz wurde knapp - vor allem weil immer größere Verpackungsmengen anfielen. Als Reaktion führte die Bundesregierung 1991 die Verpackungsverordnung ein, die Handel und Industrie verpflichtet, Verpackungsmüll zurückzunehmen und zu entsorgen beziehungsweise wiederzuverwerten. Dafür wurden bestimmte Quoten festgelegt. Die Hoffnung war, dass Verpackungshersteller angesichts der Kosten weniger davon erzeugen.

Übernommen wurde die Aufgabe der Sammlung und Verwertung - gegen eine von den Herstellern zu entrichtende Lizenzgebühr - von der privaten Firma Duales System Deutschland (DSD), die dafür auch das Symbol "Grüner Punkt" einführte. 2001 wurde der Markt auf Druck der europäischen Kartellbehörde für Wettbewerber geöffnet. Mittlerweile gibt es neun weitere duale Systeme, die die Gelbe Tonne mitnutzen dürfen. DSD ist mit einem Anteil von etwa 50 Prozent aber weiterhin Marktführer.

23 Jahre nach seiner Gründung steckt das System in einer schweren Krise. Das hat mehrere Gründe. Auf immerhin einen können sich auch fast alle Beteiligten in der Debatte einigen: Immer mehr Unternehmen nutzen Schlupflöcher in der Verpackungsverordnung aus und drücken sich so um die Kosten für die gesetzlich vorgeschriebenen Entsorgung. Sie lizenzieren zu wenig ihrer Verpackungen für duale Systeme und geben stattdessen an, die Verpackungen selbst im Laden zurückzunehmen. Doch größtenteils landen diese dann daheim bei den Käufern in den Gelben Tonnen oder Säcken, weil es für die Kunden so natürlich bedeutend bequemer ist.

Nach Angaben des DSD betrifft dies jede zweite Verpackung. Der Geschäftsführende Gesellschafter, Michael Wiener, spricht daher von Trittbrettfahrern, die das System zerstörten. Bußgelder sind dennoch die Ausnahme - den für die Kontrollen zuständigen Bundesländern fehlt der Überblick in dem komplexen System.

Dieser Missstand wird noch befördert durch die Konkurrenz unter den Betreibern der verschiedenen dualen Systemen. Diese suchen gesetzliche Schlupflöcher, um sich im Preiskampf besser gegenüber Mitbewerbern positionieren zu können. Seinen Konkurrenten wirft DSD vor, sich mit Buchungstricks vor den anteiligen Entsorgungskosten für den Gelben Sack und die Glascontainer zu drücken. So rechnet der Marktführer nach eigenen Angaben weniger als ein Prozent der lizenzierten Leichtverpackungen als Eigenrücknahme ab, während es bei den übrigen dualen Systemen im Durchschnitt mehr als 15 Prozent seien. In der Verpackungsverordnung ist das allerdings ausdrücklich erlaubt.

Im Februar hat DSD die Konsequenzen gezogen und den Vertrag für die gemeinsame Abrechnungsplattform aller zehn Betreiber dualer Systeme fristlos gekündigt. Ziel sei es, neue Verträge für einen faireren Wettbewerb auszuhandeln.

Ein weiteres Problem des deutschen Mülltrennungssystems ist, erstaunlicherweise, der Erfolg. Die meisten Verbraucher wissen gar nicht, welche Abfälle in die Tonne gehören. Viele werfen einfach alle Arten von Plastik, Verbundstoffen und Metallen hinein. Die Regeln sind in der Tat verwirrend: So gehört beispielsweise ein Plastikkleiderbügel nur dann in die Gelbe Tonne, wenn er Teil einer Verpackung war. Wurde er hingegen als eigenständiges Produkt gekauft, ist er Restmüll und gehört in den normalen Abfall. Den Kunden ist das letztlich natürlich egal - Plastik ist schließlich Plastik - und so landen jährlich Tausende Tonnen Abfall in Gelben Tonnen und Säcken, für deren Entsorgung zuvor keine Gebühren gezahlt wurden.

Drittes Problem des Systems ist, dass das eigentliche Ziel der Verpackungsverordnung verfehlt wurde: Es werden nicht weniger Verpackungen produziert - im Gegenteil. Mit 202 Kilogramm sei die Verpackungsmenge pro Kopf und Jahr in Deutschland die zweithöchste in Europa (nach Luxemburg), heißt es in einem neuen Gutachten im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Kunststoffverpackungen hätten in den vergangenen Jahren um 25 Prozent zugenommen. Offenbar legt der Kunde doch großen Wert auf aufwändige Verpackungen. Ebenso dürfte der Trend zu kleineren Portionen für Singlehaushalte den Verpackungsboom befeuert haben.

Für die Entsorgung des Verpackungsmülls bindend ist jeweils nur die Recyclingquote aus der Verpackungsverordnung. Blickt man auf die Zahlen des Bundesumweltministeriums, sieht es nach einem erfolgreichen System aus, ja sogar nach einer Übererfüllung.

Doch die einstmals ambitionierten Quoten liegen nach Meinung von Branchenkennern inzwischen viel zu niedrig angesichts des heutigen Stands der Recycling-Technik. Außerdem wird seit 1998 als Bezugsgröße für die Quote nicht die gesamte Menge des Mülls herangezogen, sondern lediglich die Menge an lizenzierten Verpackungen. Und die nimmt, wie bereits erwähnt, immer weiter ab.

Die wesentliche Frage aber lautet: Lohnt sich das Mülltrennen für die Umwelt? Ja und nein. Glas und Papier werden zu einem hohen Anteil wiederverwertet, sind begehrte Rohstoffe. Der gesammelte Kunststoff hingegen wird nur zu einem Drittel wirklich wiederverwertet. Zwei Drittel werden verbrannt - was die Verpackungsverordnung ausdrücklich erlaubt, wenn die Müllverbrennungsanlage eine Lizenz als Verwerter hat. Wird zum Beispiel Fernwärme erzeugt, ist die sogenannte "thermische Verwertung" zulässig.

Für die Kommunen ist dies gut, denn bei deutschen Müllverbrennungsanlagen gibt es gewaltige Überkapazitäten. So wird mitunter auch aus dem Ausland Müll importiert, um die zum Teil defizitären Anlagen am Laufen zu halten. DSD sieht dies auch als einen Grund hinter der Forderung der Kommunen, die Müllentsorgung samt den Gelben Tonnen wieder komplett ihnen zu überlassen.

Sind die dualen Systeme also zum Scheitern verurteilt? Zumindest kriselt es gewaltig. So bleibt abzuwarten, was die Verhandlungen nach dem Ausstieg von DSD aus der gemeinsamen Abrechnungsplattform aller zehn Betreiber dualer Systeme ergeben werden. Für die kommunalen Unternehmen ist die Antwort hingegen deutlich: Derzeit gebe es einen ruinösen Wettbewerb unter Ausnutzung von Schwachstellen der Verpackungsverordnung, der zum Einsturz des Gesamtsystems führen könnte. In ihrer jetzigen Form sei die Verordnung daher abzuschaffen.

Die Bundesregierung will das System aber noch nicht aufgeben. Sie weiß um die Mängel und will mit der mittlerweile schon siebten Novelle der Verpackungsverordnung gegensteuern. Darin sollen die Eigenrücknahme von Verpackungen abgeschafft und die Branchenlösungen stark eingeschränkt werden.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) kündigte zudem an, in diesem Herbst einen Vorschlag vorzulegen, um das Recycling für die Bürger flächendeckend zu vereinfachen. Letztlich wäre das die Wertstofftonne, in die praktisch alle Gegenstände aus Kunststoff und Metall geworfen werden können. Mehrere Bundesländer haben dies bereits ausprobiert und damit gute Erfahrungen gemacht. In Berlin wurde sie 2013 bereits eingeführt.

Manche Experten gehen in ihren Forderungen noch weiter: keine Extra-Tonnen mehr. Rein technisch ist eine automatisierte Mülltrennung durch Maschinen mittlerweile möglich. Falls steigende Energiepreise einen Wettbewerb um die Abfallverwertung entstehen lassen, wäre dies auch wirtschaftlich.

Denkbar ist aber natürlich auch ein ganz anderer Ansatz: Einfach weniger Müll produzieren.

Stand: 10.04.2014 10:58 Uhr
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/gruener-punkt100.html