Die Freude über die Entspannungssignale in Kiew war verfrüht. Die Situation ist nach Wochen angespannter Ruhe blutig eskaliert. Bei den Straßenschlachten in Kiew sind nach offiziellen Angaben mindestens neun Menschen ums Leben gekommen. Sieben Zivilisten und zwei Sicherheitskräfte seien getötet worden, sagte ein Polizeisprecher der Agentur Interfax. 150 Protestierende und Dutzende Beamte wurden demnach verletzt.

Die Regierung kündigte an, den Autoverkehr in die Hauptstadt ab Mitternacht zu begrenzen, "um eine Ausweitung der Gewalt zu verhindern". Nach unbestätigten Angaben werden weitere Sicherheitskräfte zusammengezogen.

Ein Ultimatum an die Demonstranten, den seit Monaten besetzten Unabhängigkeitsplatz zu räumen, ist um 17.00 Uhr abgelaufen. Der Geheimdienst SBU und das Innenministerium hatten angekündigt "alle vom Gesetz erlaubten Mittel" einzusetzen, um das Chaos zu beenden. Der Maidan ist abgeriegelt. Die Behörden ließen zudem die U-Bahn sperren. Die etwa 20.000 Regierungsgegner, darunter auch der Oppositionsführer Vitali Klitschko, weigerten sich, den Maidan aufzugeben. Klitschko rief allerdings Frauen und Kinder zum Verlassen des Platzes auf. Ein Angriff der Sicherheitskräfte sei nicht ausgeschlossen, sagte er.

Am Morgen waren zunächst Tausende Oppositionsanhänger friedlich in Richtung Parlament gezogen. Die Sicherheitskräfte riegelten das Gebäude ab. Die Lage eskalierte, als vermummte Demonstranten die Absperrungen durchbrechen wollten. Sie setzten Polizeiwagen in Brand und warfen mit Steinen. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein und feuerten Blendgranaten und Gummigeschosse auf die Protestierenden. Möglicherweise wurde auch scharfe Munition eingesetzt - dies ist zumindest der Vorwurf der Regierungsgegner. Sie beschuldigen insbesondere die Polizei-Spezialeinheit Berkut (Steinadler) gezielt auf Demonstranten geschossen zu haben.

Nach den ersten Zusammenstößen vor dem Parlament stürmten bis zu 300 Demonstranten die Zentrale der Partei der Regionen von Staatschef Viktor Janukowitsch. Sie schleuderten Brandsätze auf das Gebäude, warfen Scheiben ein und verschafften sich schließlich Zugang. Sie gaben das Gebäude aber frei, als die Bereitschaftspolizei anrückte.

Die Eskalation nach Wochen der angespannten Ruhe überraschte viele Beobachter. Am Wochenende gab es klare Entspannungssignale: in Kiew und Lwiw (Lemberg) wurden die von Demonstranten besetzten Rathäuser geräumt und teilweise wurden Barrikaden in Kiews Innenstadt abgebaut. Am Montag trat eine Amnestie für Regierungsgegner in Kraft, die zuvor freigelassen worden waren.

Möglicherweise sorgte die Räumung des Kiewer Rathauses bei der Protestbewegung für Frust. Das rund drei Monate besetzte Gebäude war zum "Hauptquartier der Revolution" ausgerufen wurden. Die Räumung könnte deshalb als zu großes Zugeständnis an Präsident Janukowitsch gesehen worden sein.

Zusätzlichen Zorn löste die Weigerung des Parlaments aus, über eine Verfassungsreform zu beraten. Die Rückkehr zur Verfassung von 2004 - die dem Präsidenten deutlich weniger Macht einräumt - ist eine der Kernforderungen der Oppositionsbewegung. Die Demonstration am Morgen war auch als Signal an die Parlamentarier gedacht.

Stand: 18.02.2014 19:30 Uhr
http://www.tagesschau.de/ausland/ukraine-krawalle100.html