Bei todkranken Kindern und Jugendlichen soll die aktive Sterbehilfe erlaubt werden. Nach einer langen und emotionalen Debatte hat das Parlament in Belgien dafür gestimmt. Bei Erwachsenen ist sie bereits möglich.
Von Daniel Pokraka, BR-Hörfunkstudio Brüssel

Es ist in solchen Fällen oft von Sternstunden des Parlamentes die Rede: Wenn tatsächlich mal jeder Abgeordnete nach seinem Gewissen argumentieren und entscheiden kann. Wenn der Fraktionszwang aufgehoben ist, weil es um das vielleicht Persönlichste im Leben geht: um den Tod. Die Debatte im belgischen Abgeordnetenhaus über aktive Sterbehilfe für Kinder und Jugendliche war eher keine Sternstunde. Dafür wurde zu oft unfair argumentiert - und mehr gestritten, als es einer solche Diskussion gut getan hätte.

Aber es gab auch starke Momente. Momente der Nachdenklichkeit. "Warum wird die Ausweitung der Sterbehilfe auf Minderjährige mit Fortschritt gleichgestellt?", fragte etwa Sonja Becq von den flämischen Christdemokraten. "Warum sind die, die dafür sind, die Progressiven? Bin ich feige, weil ich mich für das Leben entscheide?" Doch Becq wird die Abstimmung aller Voraussicht nach verlieren.

Denn die Mehrheit der Abgeordneten argumentierte wie die Liberale Carina van Cauter: "Der Gesetzentwurf, der vorliegt, geht aus von einem Recht auf ein menschenwürdiges Lebensende. Ein Grundrecht auch für Minderjährige - insofern ist es der urteilsfähige Minderjährige, der die Bitte um Sterbehilfe selbst vorbringen muss."

Das Kind oder der Jugendliche muss außerdem unheilbar krank sein, an schlimmen Schmerzen leiden, den Wunsch zu sterben mehrfach geäußert haben - und in der Lage sein, seine Situation und die Folgen seiner Entscheidung einzuschätzen. Außerdem müssen die Ärzte sicher sein, dass der Patient nicht mehr lange zu leben hat.

Dieser Punkt war in der Debatte besonders interessant - auch, weil er mal wieder deutlich machte, welche Schwierigkeiten ein zweisprachiges Parlament manchmal hat: "Auf französisch steht da: innerhalb kurzer Zeit. Auf niederländisch steht da: in absehbarer Zeit", erläuterte der Christdemokrat Steven Vanackere. "Aber was ist denn eigentlich absehbare Zeit? Gestern im Fernsehen hat jemand gesagt: Das Kind kann innerhalb von drei Tagen sterben, was macht es also für einen Unterschied? Andere – zum Beispiel in der Sterbehilfe-Kommission, sagen: Absehbare Zeit heißt sechs Monate oder sogar noch mehr"

Vanackere und andere Gegner der Sterbehilfe argumentierten außerdem, um todkranken Kindern Schmerzen zu ersparen, gebe es doch die Palliativmedizin. Außerdem halten sie es für mehr als zweifelhaft, dass ein Kind von sieben oder elf Jahren tatsächlich reif genug ist, um über Leben und Tod zu entscheiden. Das wiederum sehen die Befürworter der aktiven Sterbehilfe anders, wie die Liberal-Konservative Sarah Smeyers: "Alle Experten, mit denen wir gesprochen haben, sagen, dass das biologische Alter bei schwerkranken Kindern nicht das Entscheidende ist. Das mentale Alter ist in diesem Fall viel wichtiger." Jetzt hat sich diese Sicht der Dinge bei der Abstimmung durchgesetzt - die aktive Sterbehilfe für Minderjährige wird in Belgien legal.

Nun muss nur noch König Philippe das Gesetz unterschreiben. Er hat sich bisher nicht öffentlich zum Thema geäußert, was nach Meinung seines Sprechers allerdings nichts heißen muss. Ein erneuter Trick wie 1990 unter König Baudouin ist also nicht zu erwarten. Der wollte damals ein Abtreibungs-Gesetz partout nicht unterschreiben, sich aber auch der demokratischen Entscheidung nicht widersetzen. Also ließ er sich für kurze Zeit für amtsunfähig erklären. Das Gesetz trat in Kraft - und Baudouin kehrte in sein Amt zurück.

Stand: 13.02.2014 18:30 Uhr
http://www.tagesschau.de/ausland/belgien-sterbehilfe102.html

Schade das dieser Artikel nur die Argumente der Gegner nicht aber der Befürworter, welche wohl schließlich die Mehrheit im belgischen Parlament ausmachte, behandelt.


Persönlich sehe ich kein Recht als ein so ultimatives Menschenrecht, wie das den eigenen Tag des Ablebens willentlich vorzuziehen. Dabei ist es in meinen Augen unabhängig des gesundheitlichen Zustandes oder des Alters derjenigen die sich ihren Tod wünschen. Die Unterstützung durch andere, also die aktive Hilfe, ist dabei eine passende Möglichkeit schonend und ohne weitere Schmerzen sein Leben zu beenden anders als die sonst freiwillig gewählten Methoden des Suizides, welche unter Umständen sogar andere Mitmenschen schaden oder unnötig traumatisieren könnte (z.B. Geisterfahrer oder Suizid per Sprung vor einem Zug).

Weil auch das im Artikel unterschlagen wurde, eine kleine Ergänzung:


Das oben beschriebene Gesetz wurde fast mit einer 2/3-Mehrheit im Parlament angenommen: 86 Abgeordnete stimmten dafür, 44 dagegen und 12 Enthaltungen.


Quelle (niederländisch): http://www.elsevier.nl/Buitenland/nieuws...deren-1463707W/