In einigen Zeitung heißt es, der Prozess gegen Ex-Bundespräsident Wulff sei übertrieben. Dies ist geradezu merkwürdig, meint Michael Reissenberger, denn zuvor waren viele Medien weniger zimperlich. Außerdem geht es in dem Prozess um weit mehr als 753,90 Euro.
Von Michael Reissenberger, SWR Rechtsredaktion

Man tritt nicht auf einen, der gefallen ist. Gut so. Das gilt auch im Fall des Christian Wulff. Der hat allerdings von den Medien ein bisschen viel abbekommen. Doch dass jetzt zu Beginn des Strafverfahrens gegen den Bundespräsidenten im Ruhestand in einigen Zeitungen schon Mitleidskampagnen anlaufen, ist unnötig, geradezu merkwürdig.

Uns Lesern soll jetzt plötzlich weisgemacht werden: Dieser Mann wird wegen 753,90 Euro von der Justiz behandelt wie sonst nur Mörder oder Großbetrüger.

Doch das ist schlicht eine Irreführung. Denn es geht um weit mehr. Darum, welches Vertrauen Bürger dem Staat entgegenbringen dürfen, wie unparteiisch der öffentliche Sektor funktioniert und entscheidet. Jeder Anschein von Käuflichkeit soll vermieden werden.

Der Gesetzgeber hat in den 1990er-Jahren aus gegebenem Anlass und sehr bewusst eine Verschärfung der Korruptionsdelikte ins Strafgesetzbuch geschrieben. Man hat die sogenannte Klimapflege, das Anfüttern von Staatsdienern, in den Blick gerückt: Wer im Amt den Anschein von Käuflichkeit riskiert, ist dran, nicht erst dann, wenn er eine Amtshandlung, vielleicht eine Baugenehmigung oder einen Lieferauftrag regelrecht verkauft.

Den Beamten wird heutzutage regelmäßig per Powerpoint- Vortrag klar gemacht, dass sie aufpassen müssen bei zinsgünstigen Krediten. Und bei einer Mitnahme auf Urlaubsreisen. Bei der Übernahme von Bewirtungs- oder Hotelkosten. Warnsignale seien: hohe persönliche Schulden, das Leben über den "eigenen Verhältnissen".

Und die Botschaft der Korruptionsbekämpfer in den Ämtern lautet: Jeder, der etwas annimmt, sollte sich auch immer fragen: Was möchte der Geber erreichen? Würde ich das im Kollegenkreis erzählen? Würde ich das auch in einer anderen Funktion bekommen?

Hat der niedersächsische Ministerpräsident Wulff immer beherzigt, was seinen Beamten eingebimst wurde?

Die Staatsanwälte haben das zu Recht genau erforscht. Das Landgericht Hannover verdeutlicht auch in seinem Eröffnungsbeschluss, wie die heutige vorverlagerte Verfolgung von Korruptionskriminalität umfänglichste Ermittlungen erforderlich macht. Zumal die Beteiligten lieber verdeckt vorgehen, Absprachen mündlich treffen, Zahlungen verschleiern, Bargeld anstelle von Überweisungen fließt.

Das Landgericht Hannover nimmt in seinem Eröffnungsbeschluss die jahrelange Beziehung zwischen Wulff und dem Filmproduzenten Groenewold in allen Einzelakten in den Blick. Korruption ist nicht so leicht aufzuklären wie manche Gewalttat, bei der der Revolver und ein DNA Test die Lösung liefern können.

Der Fall - im doppelten Wortsinn - von Christian Wulff, der es zum ersten Mann im Staat gebracht hat, wird unser aller Rechtsbewusstsein prägen. Deshalb ist diese große Anstrengung der Justiz auch für uns alle richtig und wichtig.

Stand: 14.11.2013 13:12 Uhr

http://www.tagesschau.de/kommentar/wulffprozess100.html