In einem Interview fordert Papst Franziskus von der katholischen Kirche mehr Barmherzigkeit und weniger Diskussionen um Sexualmoral und Abtreibung. Auch im Verhältnis zu Fragen um Homosexualität und Frauenrechte deuten sich Änderungen an.

Papst Franziskus will die katholische Morallehre nicht mehr so offensiv vertreten wie seine Vorgänger. "Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben", sagte Franziskus in dem ausführlichen Interview mit europäischen Jesuitenzeitschriften. Die Verkündigung der Liebe Gottes müsse der moralischen Verpflichtung vorausgehen.

"Wir können uns nicht nur mit der Frage der Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit Verhütungsmethoden", sagte Franziskus. Auf die Frage, ob er Homosexualität billige, pflege er mit einer Gegenfrage zu antworten: "Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er die Tatsache mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück?"

Ähnlich hatte er sich schon vor wenigen Wochen geäußert: "Wenn ein Homosexueller Gott sucht, wer bin ich, darüber zu urteilen?", fragte er auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Brasilien.

Homosexualität, Abtreibung, Empfängnisverhütung: Das sind die großen Themen der katholischen Kirche. Offensiv und lautstark hat sie sich in den letzten Jahrzehnten dagegen eingesetzt - oft im Widerspruch zur gesellschaftlichen Mehrheit. Auch die beiden letzten Päpste setzten hier Schwerpunkte. Franziskus will das ändern.

Barmherzigkeit ist das Leitmotiv dieses Papstes, sagt Jesuitenpater Antonio Spadaro, der das Interview mit Franziskus geführt hat. "Diese Dimension der Barmherzigkeit, die ja auch in seinem Wahlspruch enthalten ist und die er im Interview bestätigt, enthüllt das Antlitz Gottes", sagte Spadaro. "Niemand ist ausgeschlossen von der Gnade Gottes, niemand ist fern."

Deshalb forderte Franziskus: Die Diener der Kirche müssen "barmherzig sein, sich der Menschen annehmen, sie begleiten". Bei einem Treffen mit neu ernannten Bischöfen in Rom führte Franziskus aus, was das konkret für das kirchliche Leitungspersonal bedeutet: "Stellt euch einmal die Frage: Wie ergeht es Menschen, die an eure Tür klopfen? Ist die Tür verschlossen oder werden sie mit Güte und Hilfsbereitschaft empfangen? Ist die Liebe Gottes spürbar, so dass die Menschen verstehen, dass die Kirche wie eine gute Mutter ist, die einen immer aufnimmt und liebt?"

Seine Vision von der Kirche erklärt Franziskus mit einem ungewöhnlichen Bild: Die Kirche sei wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht. Auch da gehe es vor allem darum, Wunden zu heilen und nicht nach den Cholesterinwerten zu fragen. Auf die Frage, welche Rolle Frauen in diesem Feldlazarett spielen, antwortet Franziskus ausweichend. Auch unter diesem Papst dürfte das Priesteramt für Frauen kein Thema sein. Allerdings will er neu über den "spezifischen Platz der Frau" nachdenken. Das gelte "gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche Autorität ausgeübt werde".

Das Gespräch mit dem Papst wurde auf der Internetseite der deutschen Jesuiten-Zeitschrift "Stimmen der Zeit" veröffentlicht. Die schriftliche Endfassung wurde von Franziskus persönlich freigegeben. Man darf also das Dokument durchaus als eine Art Regierungserklärung verstehen.

Doch Franziskus gibt auch Persönliches preis. Er sei von Geburt an ein eher undisziplinierter Mensch, im Jesuiten Orden habe er Disziplin gelernt. Die Entscheidung, nicht im päpstlichen Palast zu wohnen, sondern im Gästehaus, begründet er mit seinem Bedürfnis nach Gemeinschaft. "Ich muss mein Leben zusammen mit anderen leben."

http://www.tagesschau.de/ausland/papst1826.html

Es sind ungewöhnliche Worte, die von Papst Franziskus zu hören sind: "Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben", erklärte er in seinem ersten ausführlichen Interview. Damit präsentiert er sich zweifelsohne wesentlich weltoffener als seine unmittelbaren Vorgänger Benedikt XVI. und Johannes Paul II.

Seine Aussagen zu den für die Kirche sensiblen Themen Abtreibung, Homosexualität und Verhütung als radikalen Kurswechsel der katholischen Kirche zu interpretieren wäre dennoch verfehlt.
Bei genauerer Betrachtung wird nämlich schnell deutlich, dass der Kurswechsel in erster Linie ein semantischer ist.

Ein Beispiel: Papst Franziskus spricht viel von Barmherzigkeit, mit der man allen Menschen begegnen müsse, und sagt: "Wenn eine homosexuelle Person guten Willen hat und Gott sucht, dann bin ich keiner, der sie verurteilt."
Gut so, wird sich jeder halbwegs liberal denkende Mensch denken.

Was eigentlich damit gemeint ist, kommt aber etwas später im Interview. "Wir können uns nicht nur mit der Frage der Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit Verhütungsmethoden. Das geht nicht."
Es geht also in Wahrheit nur darum, die heiklen Themen, die für Durchschnittsbürger ohnehin schon lange nicht mehr heikel sind, nicht mehr öffentlich anzusprechen.

Nach dem Motto: Wenn der vorwurfsvolle Unterton wegfällt, werden sich jene Menschen, die zwar gläubig sind, aber nichts mit den völlig unzeitgemäßen vatikanischen Lehren anfangen können, hoffentlich nicht mehr so in Scharen von der Kirche abwenden, wie sie das bisher getan haben. An den grundsätzlichen Positionen will aber auch der Argentinier offenbar nichts ändern. Man kenne ja die Ansichten der Kirchen - "und ich bin ein Sohn der Kirche", stellt Franziskus klar.

Interpretationsspielraum lassen auch seine Aussagen zur Rolle der Frauen in der Kirche. Franziskus spricht davon, dass die "Räume einer einschneidenden weiblichen Präsenz" in der Kirche "weiter werden" müssten und die Frau für die Kirche "unabdingbar" sei. Viel mehr als den Beginn einer Diskussion dürfte Franziskus damit aber nicht einläuten. Er sagt nämlich auch, man dürfe "Funktion und Würde nicht verwechseln". Forderungen nach geistlichen Ämtern für Frauen, wie sie in Österreich die Pfarrerinitiative rund um Helmut Schüller erhebt, dürften damit noch immer weit von der Realisierung entfernt sein.

Papst Franziskus kann also nur hoffen, dass die Katholiken die schönen Worte höher bewerten als deren tatsächliche Bedeutung. Ansonsten ist die Gefahr, dass das moralische Gebäude der Kirche "wie ein Kartenhaus zusammenfällt", wie sie Franziskus selbst in den Raum gestellt hat, nicht gebannt!

http://derstandard.at/1379291445508/Paps...it-Fragezeichen

Neue Töne …..

Aber bei diesen Tönen ist es bisher auch geblieben.